An dieser Stelle werden in lockerer Folge neue Bilder, Serien und Texte zur Fotografie oder ihrer intermedialen Strategien veröffentlicht. Frei nach Nancy Spector, die in den 2000er-Jahren schrieb: "Die stete Wandlung der Form lässt auf ein künstlerisches Kraftfeld schließen, das hinter der multimedialen Gestalt wirkt" … und das nicht unbedingt einfach zu (er)fassen ist.
Multimedialität und Bild
Multimedialität, als zentrales Phänomen der Gleichwertigkeit und -zeitigkeit der Erscheinungen der Visuellen Kultur der Gegenwart, spiegelt sich in den neuen Serien VANITAS_drawings und Selbstvergewisserungen. Entstanden über einen längeren Zeitraum (seit 2019) bilden tägliche Smartphone-Inszenierungen die Grundlage für die Serie Selbstvergewisserungen, die final zum zweidimensionalen Bild zusammengefügt werden.
Die Serie VANITAS_drawings dagegen verknüpft das analoge Fotografieformat mit der digitalen Bearbeitung der fotografischen Bilder. Die in der Produktion digitalisierten Aufnahmen nähern sich damit den klassischen, prinzipiell analogen Medien Malerei und Zeichnung an in ihrer Farbigkeit und Textur. Aufgrund der Anwendung digitaler Tools (Methoden), die tief in die DNA der Bilder eingreifen, erreichen sie außerdem durch das Bildformat sowie das Trägermaterial (Bildgrund) Anschluss an das traditionelle Tafelbild. Und/Oder an die Druckgraphik.
Insofern oszillieren beide Werkserien zwischen den Momenten des analogen und digitalen Formats, auch hinsichtlich medienhistorischer Entwicklungen, und verifizieren die selbstverständliche Transformation und Adaption analoger Dispositive in der (digitalen) Gegenwart. Parallel zur selbsverständlichen, im Diskurs von Beginn des "iconic turn 2" kommunizierten Anbindung der digitalen Modi an den kunsthistorischen, und damit bildwissenschaftlichen Zusammenhang. Ebenfalls deuten sich im Bild die Kategorien insbesondere der Smartphone-Ästhetik wie Fragmentierung und Wiederholung (Serialität) an. Also die mit dem fotografisch-technischen Medium – seit seinen Anfängen – verknüpften zentralen Parameter seiner Konstruktion und Konstituierung.
Kontext aka Hintergrund
Im Zuge der – in Deutschland spät(er) stattfindenden – Digitalisierung sowie der neuen Gleichzeitigkeit der Phänomene als einer Konsequenz dieser Entwicklung, lösen sich die bis dahin gültigen Abgrenzungen der bisherigen Ordnungen auf oder werden für den Zeitraum des Übergangs in Frage gestellt. Das Motiv der tätowierten Haut einerseits sowie generell die Konzentration auf Themenfelder des Körpers, die seit den 1990er-Jahre entstehen, lassen sich auf diese Weise erklären. Dieser Prozess der gleichzeitigen Annäherung und Differenzierung erfordert, legitimiert und erklärt die in den Kunst-, Bild- und Kulturwissenschaften zu beobachtende Fokussierung auf die Schnittstelle(n) – zwischen den Disziplinen, Nationen, Epochen und Medien – als Spannungsfeld der Auseinandersetzung und Analyse.
07. August 2021
Das fotografische Bild
Allein der Begriff das »fotografische Bild« vermag die Komplexität der Bedeutungsebenen der Fotografie gänzlich zu erfassen. Auch ermöglicht er die Anbindung an das Tafelbild der Malerei und damit an den kunsthistorischen und bildwissenschaftlichen Diskurs. Das Oszillieren des Mediums zwischen dem High&Low der Visuellen Kultur(en) erfährt mit dem zweiten »iconic turn«, der Digitalisierung des analogen Formats, zwar eine wesentliche Transformation, die jedoch nicht die "Faktizität des So-ist-es-gewesen" (B. Stiegler) aufzulösen vermag, die mit den Anfängen des Mediums verbunden ist.
Zur Komplexität und Heterogenität der Inszenierungsstrategien im fotografischen Bild
Diese Ergänzung zur Website setzt sich mit der Relation von Sichtbarkeit/Unsichtbarkeit – das heißt der sichtbaren Motivfelder und der bildinhärent unsichtbar verankerten Konzepte – in der Fotografie auseinander. Die Fotografie wird dabei als zentrales Medium der Kommunikation (in) der Gegenwart betrachtet. In all ihren Formaten: Digital, analog, dokumentarisch vs. "inszeniert". Insbesondere jedoch ist das fotografische Bild Schnittstelle zahlreicher komplexer und heterogener Ideenfelder und somit Ausdruck der Vernetzung. Das heißt, im fotografischen Medium bündeln sich konstitutiv die Kontextualisierungen der Disziplinen, Diskurse, Medien und Formate. Die Narrative des High&Low sind Gegenstand der Analyse(n) an dieser Stelle, auch im Sinne von Dispositiv und Display (vgl. Frohne, 2019). Sie erlauben die Historizität der Phänomene und ihre epochenspezifischen Verschiebungen transparent zu machen: Als Voraussetzung einer differenzierten Definition, da sich im und am fotografischen Bild die (Re)Präsentation der Kategorien menschlichen Seins des 21. Jahrhunderts vollzieht und im Vergleich mit dem Tafelbild der Malerei die Medialität der mitunter transhistorischen Motiv- und Ideenfelder zur für die Gegenwart relevanten Aussage beiträgt.
(Fortsetzung s.u.)
Fortsetzung
Die vielschichtige und auch widersprüchliche Komplexität dieser bildkonstitutiven Kategorien, die sich auf den ersten Blick nicht immer zu erkennen gibt aufgrund der Verführungskraft des technischen Mediums, das eine Neigung zur Idealisierung des Dargestellten zeigt, besitzt eine hohe Relevanz hinsichtlich der Deutung der Bilder. Deren evozierte Kontexte oszillieren im/mit dem High&Low der Diskurse: Die Narrative der Kunst- und Kulturwissenschaft entwickeln sich mit und am fotografischen Bild, das als Hermesmedium zwischen den Disziplinen, Epochen und Medien (inter)agiert: In seinen medienspezifischen Eigenschaften des Dokumentarischen und sogenannt Inszenierten.
Documentary und Cinematographic. Jeff Walls Thesen zur Fotografie
Jeff Walls Begrifflichkeit vom fotografischen Bild als cinematographic und/oder documentary sowie nearly documentary (vgl. Stemmrich 1997/2012) emanzipiert die Fotografie und ihre Diskurse idealerweise vom Topos des Theaters und des Theatralischen, der dem Begriff der Inszenierung anhaftet. Und scheint daher der Autorin effizienter und adäquater zur Erfassung der bildinhärenten Strategien des Mediums (zu sein). In all seinen Formaten, analog wie digital. Die Fotografie liefert ihre Kontexte qua Bild mit im 21. Jahrhundert (Stiegler/2010) und trägt so maßgeblich bei zu den aktuellen Narrativen und Dispositiven menschlichen Seins und der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts. Der Faktizität des So-ist-es-gewesen entkommt das Medium dabei nur selten, auch nach den Entwicklungen des »iconic turn 2«, prägt jedoch mit der Omnipotenz digitaler Bildlichkeit und einer derart hervorgerufenen inflationären Präsenz fotografischer Bilder die Bestimmung dessen was Authentizität ist/sein soll.
Authentizität: Konstitutionsbedingungen (G. Simmel) eines Begriffs
Der seit den 1980er-Jahren oft bemühte Begriff der "Authentizität" entstand im Kontext einer sich zunehmend als inadäquat zeigenden Polarität des Denkens und ist zurückzuführen auf medizinische sowie technische Entwicklungen: Der Entschlüsselung der DNA-Doppelhelix und der Digitalisierung der Medien. Zudem begünstigt durch das Schmelzen der Polkappen, des Zusammenbruchs der Berliner Mauer und dadurch der historisch und politisch bedeutsamen Aufhebung der Teilung Deutschlands (vgl. Latour/2008). Entwicklungen, die gebündelt zu dem führten, das heute als Globalisierung und KI (Künstliche Intelligenz) bezeichnet wird und in KlimaaktivistInnen der zumeist jüngeren Generation ihre RepräsentantInnen findet. Entwicklungen zudem, die die Werte demokratischer, spätkapitalistischer Gesellschaften, Freiheit, Gleichberechtigung, Würde, Achtung und Respekt sowie relativer Reichtum für alle, in Frage stellen und herausfordern. Das Bedürfnis, sich zunächst abzugrenzen vom fremden Anderen, bereits bei Rimbeaud zu finden, hat sein paradoxes Pendant in hybriden Denkfiguren, die auf die Gleichwertigkeit und Gleichzeitigkeit der Phänomene hinweisen. Sie sind keineswegs ein Garant für eine Gleichheit der Menschen, jedoch zeigen sie, in einer Zeit, die von Globalisierung und Digitalisierung geprägt ist, die Heterogenität und Komplexität der Phänomene auf. Für die das fotografische Bild zur Schnittstelle gerät.
Die nur kurz angerissenen Strömungen der Gegenwart, deren Beginn in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und insbesondere nach 1980 zu verorten ist, spiegeln sich in den Kunstwerken dieses Zeitraums wider. Frühe Vorreiter der nordamerikanischen und westeuropäischen Kunstszene wie Bruce Nauman, Bill Viola und Joseph Beuys sowie alle daran anschließenden KünstlerInnen und ihre Werke nach 1980, so die multimedial arbeitenden Roni Horn oder Matthew Barney, verlangen in den Wissenschaften nach neuen Narrativen und stellen insbesondere die Kunstgeschichte vor Herausforderungen, diese Werke zu verstehen, zu erfassen und historisch zu verorten.
Zahlreiche AutorInnen thematisieren seit den 2000er-Jahren die vielfältigen Phänomene dieser Entwicklung(en) und zeigen ihre Historizität auf. Hans Belting, Kathrin Schönegg, Anja Osswald oder Peter Geimer, um nur einige zu nennen, schreiben gegen die Tendenz zur Dichotomisierung an. Die Werner Hofmann als Ausdruck der Kunstgeschichte des 19. Jahrhundert definiert. Zeit, dass sich daran etwas ändert.